Städtebaulicher Vertrag? Öffentlich-rechtlicher Vertrag? Bahnhof??? Abfahrt??? Pilotverfahren GESOBAU

Da sie neuerdings im Berliner Bezirk Pankow Hochkonjunktur haben, hier ein wenig Nachhilfe zum Verständnis, was denn

  • städtebauliche Verträge und
  • öffentlich-rechtliche Verträge

sind und wozu sie überhaupt dienen können.

I. Was ist ein städtebaulicher Vertrag?

„Wenn es um städtebauliche Projekte geht, regeln städtebauliche Verträge, welche Rechte und Pflichten der Investor auf der einen Seite und die Kommune auf der anderen hat. Das Baugesetzbuch (BauGB) enthält keine Definition des städtebaulichen Vertrags. „Städtebaulich“ ist ein Vertrag, der sich auf Regelungen des Städtebaurechts bezieht. Städtebauliche Vereinbarungen können mit privatrechtlichen Regelungen, etwa über Grundstücksgeschäfte (z.B. Grunderwerb von der Gemeinde), verbunden werden.

Kennzeichnend für städtebauliche Verträge ist in der Regel, dass ein – zumeist privater – Investor die Kosten für bestimmte städtebauliche Projekte übernimmt. Beispielsweise Maßnahmen für die Aufstellung eines Bebauungsplans oder Folgekosten im Rahmen der Erschließung. Im Gegenzug schafft die Gemeinde Baurecht, etwa durch die Aufstellung eines Bebauungsplans. Hierbei handelt es sich zwar nicht um eine echte Gegenleistung im Sinne eines Austauschverhältnisses, da nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB ein Anspruch auf Aufstellung eines Bebauungsplans auch nicht durch Vertrag begründet werden kann (gesetzliches Verbot). Jedoch schuldet der Investor die Erfüllung der von ihm eingegangenen Verpflichtungen oftmals nur, wenn tatsächlich der Bebauungsplan in Kraft tritt.

Es können Verträge geschlossen werden, um die Ziele der Bauleitplanung zu fördern und zu sichern. Hierzu zählen die Verpflichtung zur Nutzung der Grundstücke binnen einer angemessenen Frist entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans, Vereinbarungen zum sozialen Wohnungsbau oder zur Deckung des Wohnbedarfs der ortsansässigen Bevölkerung („Einheimischenmodelle“).

Für Gemeinden gilt beim Abschluss städtebaulicher Verträge nicht allgemein das Prinzip der Vertragsfreiheit, wie bei Verträgen zwischen Privaten. Vielmehr unterliegen die Gemeinden auch hier dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit und der Grundrechtsbindung der Verwaltung. Die Gemeinden dürfen ihre Macht, die ihnen in Form der Planungshoheit verliehen ist, nicht missbrauchen.

Koppelungsverbot: Leistung und Gegenleistung müssen hiernach in einem sachlichen Zusammenhang stehen. Außerdem dürfen hoheitliche Entscheidungen ohne entsprechende gesetzliche Ermächtigung nicht von wirtschaftlichen Gegenleistungen abhängig gemacht werden, es sei denn, erst die Gegenleistung beseitigt ein der Entscheidung entgegenstehendes rechtliches Hindernis. Man kann sich also eine Baugenehmigung nicht kaufen.“

Auszug aus: Rechtsanwalt Ralph Tiede in WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 09/2009, Seite 38

II. Was ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag?

Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag fällt unter das öffentliche Recht (das ist das Recht, das staatliches Handeln regelt). Dabei ist der wichtigste Grundsatz der, dass sonst geltendes Recht wie das nach BGB nicht eingeschränkt werden darf. Ein weiterer Grundsatz für öffentlich-rechtliche Verträge ist, dass sie nur dann einzusetzen sind, wenn geltendes Recht substantiell ergänzt wird. Die Eingriffe, die sie darstellen, sollen also stets motiviert sein.

Im Baurecht werden öffentlich-rechtliche Verträge in Form des sogenannten Sozialplanverfahrens eingesetzt, jedoch nur dann, wenn es sich um Baumaßnahmen in einem Sanierungs- oder Erhaltungsgebiet handelt – denn nur diese sind durch den Bezirk bzw. die Kommune genehmigungspflichtig. Nur in Sanierungs- und Erhaltungsgebieten kann der Bezirk/die Kommune gegenüber Investoren oder Bauträgern aufgrund der §§ 144, 145 BauGestzbuch mitbestimmen, wie die Bewohnerschaft und damit die Zusammensetzung eines Quartiers geschützt werden soll, weil nur in förmlich festgelegten Sanierungsgebieten für erhebliche oder wesentlich wertsteigernde Baumaßnahmen eine sanierungsrechtIiche Genehmigung seitens der Verwaltung erforderlich ist.

Das zivilrechtliche Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter bleibt von der Durchführung des Sozialplanverfahrens unberührt. Dazu gehören unter anderem die Bestimmungen des BGB, wonach u.a. eine Modernisierungsankündigung zu erfolgen hat. Die Mieter haben zudem einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen infolge der Maßnahmen. Dabei hat der Vermieter in angemessenem Umfang Ersatz zu leisten (§ 541b Abs. 3 BGB). Dazu gehört auch die Entschädigung genehmigter mietereigener Einbauten.

„Nach der Mietrechtsnovelle vom 01.07.2013 ist das Recht auf Mietminderung bei energetischer Sanierung nun während drei Monaten ausgeschlossen. Eine Duldung der energetischen Modernisierungsmaßnahmen ist inzwischen auch nicht mehr erforderlich, weshalb möglichst viele Maßnahmen neuerdings als energetische Modernisierung ausgewiesen werden.

Die vorher bereits existierende Ausnahme des Härteeinwands bleibt jedoch bestehen: Nach § 555d Abs. 2 BGB soll eine Duldungspflicht nur dann nicht bestehen, wenn die Modernisierungsmaßnahme für den Mieter, seine Familie oder einen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen von Vermieter und anderer Mieter sowie von Belangen der Energieeinsparung und des Klimaschutzes nicht zu rechtfertigen ist. Klargestellt wird, dass die zu erwartende Mieterhöhung sowie die voraussichtlichen künftigen Betriebskosten bei der Abwägung außer Betracht bleiben. Der Beginn einer Modernisierungsmaßnahme kann also mit dieser Begründung nicht durch den Mieter verzögert werden, bleibt aber bei einer Mieterhöhung nach § 559 BGB zu berücksichtigen.“

Das Mietänderungsgesetz. Gesetz über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln – MietRÄndG. GdW 2013, http://www.gdw.de

Sozialpläne werden mit dem Eigentümer erörtert und nach eventuell weiterem Abstimmungsbedarf vom Bezirksamt festgesetzt. Sie sind Bestandteil der sanierungsrechtlichen Genehmigung und somit verbindlich.

Da üblicherweise eine Mieterberatungsgesellschaft einbezogen wird, nennt man den hier thematisierten öffentlich-rechtlichen Vertrag auch drei-seitigen Vertrag, da die Mieterberatung neben dem Eigentümer und dem Bezirk/der Kommune eine von drei unterzeichnenden Vertragsparteien darstellt.

IIa. Rolle der Mieterberatung:

Zur Absicherung der Inhalte der Sozialpläne und Vereinbarungen werden vom Eigentümer mit den Mietern in der Regel Modernisierungs- und/oder Räumungsvereinbarungen abgeschlossen. Die Mieterberatungsgesellschaft hält Mustervereinbarungen bereit und gibt Unterstützung bei deren Abschluss. In die Modernisierungsvereinbarung werden alle für die Mieter hinsichtlich der Modernisierung notwendigen Regelungen aufgenommen. (Baubeginn, Dauer, Umfang, eventuell Zwischenumzüge, Miete usw.).

Die Mieterberatung vermittelt bei auftretenden Konflikten während der Baudurchführung und organisiert gegebenenfalls besondere Hilfen.

Da die Mieterberatung jedoch vom Eigentümer bezahlt wird und diesem gegenüber für die Mieter verhandelt und ihm berichtet, ist sie nur bedingt unabhängig. Schlimmstenfalls wird sie zum Erfüllungsgehilfen des Eigentümers. Faktisch haben Mieter kein Vertragsverhältnis mit der Mieterberatung, sondern nur eines mit dem Vermieter. Berät die Mieterberatung falsch, können Mieter Falschberatung geltend machen, zumal die Mieterberatung keine Anwälte beschäftigt und nicht berechtigt ist, Rechtsauskünfte zu geben. Das dürfen nur Anwälte.

Mieterberatungen greifen in einem Sozialplanverfahren durchaus in privatrechtliche Verträge nach BGB ein, um Modernisierungsvereinbarungen zu erstellen, die gelten, wenn sie vom Vermieter und Mieter unterzeichnet sind. Auf welcher Grundlage geschieht dies? An sich auf freiwilliger, wobei aber vorausgesetzt wird, dass Mieter mündige Bürger sind und sich umfassend informieren, so auch bei einem Anwalt. Nicht-Wissen oder mangelndes Verständnis schützt Mieter also vor den Folgen eines Vertragsabschlusses durch eine Modernisierungs- oder Räumungsvereinbarung nicht.

Die freie Selbstbestimmung der BürgerInnen nach Art. 2 I GG beinhaltet das Recht des Einzelnen und der von ihm gebildeten Gruppen auf freigewählte und eigenverantwortliche Gestaltung der eigenen Angelegenheiten. Entsprechend des Menschenbildes des Grundgesetzes ist jedes Individuum vernunftbegabt und hat die Fähigkeit, diese Vernunft auch selbständig und ohne Leitung eines anderen zu gebrauchen. Dem deutschen Bürger als Mensch wird auf diese Weise aufgrund seiner Vernunft eine Freiheit für individuelle und gesellschaftliche Entscheidungen unabhängig vom Staat verfassungsrechtlich eingeräumt. Kraft seiner Autonomie kann der Einzelne deshalb prinzipiell frei darüber entscheiden, was er tut und was er lässt. Das Grundgesetz beinhaltet daher den Glauben an die Mündigkeit seiner Bürger, ob im Rechtssystem (Zurechenbarkeit – Verträge), im Persönlichen oder im Wirtschaftlichen.

nach: Ramona Hellwig, Der „mündige“ Bürger. Das Menschenbild des Grundgesetzes. Seminararbeit, 2004.

II b. Was wenn der Eigentümer den Sozialplan nicht einhält?

Dafür sollte es eigentlich Ordnungsmaßnahmen geben. Damit ist es jedoch nicht weit her. Wenn ein Eigentümer ein Sozialplanverfahren als PR-Maßnahme benutzt und sich herausstellt, dass er die resultierenden Verträge nie tatsächlich einzuhalten beabsichtigte, wie u.a. im Fall der Gleimstraße 52, zeigt sich der Bezirk (Pankow) macht- und hilflos.

III. Das Pilotverfahren der GESOBAU in Pankow für die Pestalozzistraße 4

P4_09.04.13_WZ

Das Haus Pestalozzistraße 4 in Pankow liegt NICHT in einem Sanierungsgebiet. Somit gilt das BauGB nicht. Der Pilotvertrag für ein Sozialplanverfahren steht vor dem Hintergrund, dass die GESOBAU am 15.05.2013 verkündete, ein Sozialplanverfahren für ihren gesamten Mietwohnungsbestand im Bezirk Pankow abschließen zu wollen. Ein solcher Pankow-weiter Vertrag beträfe also tausende von Mietern für Jahre oder Jahrzehnte. Damit ist dieses Vorhaben ein Unikum, denn bisher gab es nur Sozialplanverfahren für einzelne Häuser oder überschaubare Gruppen von Häusern, ob für Investoren oder landeseigene Wohnungsbaugesellschaften.

Da das BauGB nicht greift, ist der öffentlich-rechtliche Pilotvertrag ebenso wie ein bezirksweites Sozialplanverfahren in keiner Weise bindend.

Eine Bezirksverwaltung hat keinerlei Handhabe, um Weisungen gegenüber einer landeseigenen/­kom­mu­nalen Wohnungsbaugesellschaft zu erlassen. Die GESOBAU handelt also vollkommen freiwillig, wenn sie ein Sozialplanverfahren für den gesamten Bezirk vorschlägt.

Grundsätzlich gilt nach § 58 VwVfG: Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, der in Rechte eines Dritten eingreift, wird erst wirksam, wenn der Dritte schriftlich zustimmt. Die Mieter waren dazu nie aufgefordert. Sie schließen nun entweder eine Modernisierungs- oder Räumungsvereinbarung mit der GESOBAU ab, oder sie lassen sich – wie bisher auch schon – verklagen und halten vor Gericht gegen die Ansprüche der GESOBAU.

Und nach § 59 VwVfG könnte der öffentlich-rechtliche Vertrag durchaus nichtig sein, da er teilweise in Konflikt zum Bürgerlichen Gesetzbuch steht. Wichtig für MieterInnen ist, dass das BGB vorrangig gilt und der öffentlich-rechtliche Vertrag im Sinne eines Sozialplanverfahrens nur da akzeptiert werden braucht, wo er MieterInnen Vorteile bringt. Ansonsten darf man ihn getrost als PR-Maß­nah­me auffassen, mit dem die zweitkleinste landeseigene Wohnungsbaugesellschaft sich den größeren gegenüber zu positionieren versucht.

Bei genauer Prüfung geht der Pilot-Vertrag kaum über das BGB hinaus. Er schaltet vor allem lediglich die Mieterberatung Prenzlauer Berg ein, die MieterInnen durchaus unterstützend zur Seite steht und die bislang recht ungeschickte Kommunikation mit den sogenannten „Kunden“ der GESOBAU verbessern hilft. Die Kosten dafür wird die GESOBAU letztlich auf die Mieter umlegen.

Anwaltliche Unterstützung ist durch diesen Pilotvertrag nicht überflüssig geworden, schon deshalb nicht, weil MieterInnen sich unbedingt vergewissern müssen, welche Verhandlungsposition sie einnehmen können und welche Chancen sie haben, ihnen wichtige Punkte durchzusetzen.

Die Frist zum Einlegen des Härteeinwands läuft soeben ab.

Quellen:

Ramona Hellwig: Der „mündige“ Bürger. Das Menschenbild des Grundgesetzes. Seminararbeit, 2004.

Rechtsanwalt Ralph Tiede in WiM – Wirtschaft in Mittelfranken, Ausgabe 09/2009, Seite 38.

JuraForum.de

http://www.rewi.hu-berlin.de/~luehmann/VR_AT/Vertrag.htm

MieterEcho 316/Juni 2006: Sanierungspolitik „light„

Andrej Holm: Öffentlich-rechtliche Verträge im Kampf gegen Umwandlungsmodernisierungen. In: MieterEcho 316/Juni 2006

Hinterlasse einen Kommentar